Es ist kaum wiederzuerkennen. Hinter der kleinen Fee liegen Wochen harter Arbeit. Brett um Brett hat sie zusammengesammelt. Manche tiefschwarz, manche bemoost, einige nicht mehr zu retten. Also hat sie neue Äste gesägt und geschliffen. Nun erstrahlt das Baumhaus in einem Mosaik aus Altem und Neuem, grün, braun und schwarz.
Wie durch ein Wunder stand die uralte Eiche noch. Um sie herum glänzt ein sattes Grün, dort, wo bei ihrer überstürzten Abreise nur noch Asche zu sehen war, sind unzählige neue Pflanzen gewachsen. Der Wald lässt sich nicht aufhalten. Das Leben lässt sich nicht aufhalten. Nicht von einer kleinen Fee.
Sie ist weit gereist. Kilometer um Kilometer hat sie auf ihrer Flucht zurückgelegt. Irrte ziellos umher, durch Wälder, Wiesen und durch Moore. Blieb fast stecken im Morast. Bis zu dieser einen sternklaren Nacht.
Mit letzter Kraft schleppte sie sich damals an einen See. Halbverdurstet, weil sie sich in ihrer Hast nicht einmal Zeit zum Trinken nahm. In der ständigen Angst, doch noch eingeholt zu werden. Ihr Feenjunges schlief bereits völlig erschöpft neben der notdürftigen Feuerstelle. Sie beugte sich über die Wasseroberfläche, sah die Reflektion des Vollmondes und noch etwas anderes… kam blinzelnd näher. Und mit markerschütterndem Schrei fuhr sie zusammen. Es war da. Es musste die ganze Zeit hinter ihr gestanden haben. Sie drehte sich um – Nichts. Keine leuchtenden Augen. Kein Atmen. Also wagte sie einen erneuten Blick in ihr Spiegelbild. Doch. Es war direkt neben ihr. So nah, als wäre es… ein Teil von ihr?
In dieser Nacht erkannte die kleine Fee, dass Weglaufen nie den gewünschten Erfolg bringen würde. Denn das Monster ist in ihr. In den folgenden Tagen und Nächten begann sie, mit ihm zu reden. So, wie man mit alten Freunden spricht, von denen man sich entfernt hat. Denn es wirkte so fremd und gleichzeitig doch so vertraut. Und dann geschah es: Das zottelige Wesen saß plötzlich leibhaftig neben ihr. Keine Sagengestalt, keine bösartige Chimäre, nur ein ziemlich großes Monster mit entstelltem Gesicht und sehr weichem Fell. Vorsichtig ertastete ihre Hand die langen, dunkelgrauen Haare. Und in den orangebraunen Augen des Monsters flammte etwas auf – ein Funken Angst.
Nun sitzen sie gemeinsam in ihrem neuen, alten Baumhaus. Das Feenjunge, das sich längst nicht mehr um den Bauch schnüren lässt. Das Monster, das plötzlich viel weniger gruselig daherkommt. Und sie, die kleine Fee. Ihre blauen Locken wehen leicht im Wind. Die Grillen zirpen durch die Nachtluft.
Sie müssen nicht mehr kämpfen. Sie können einfach sein.